Englischer Liberalismus oder Warum Newton zu Recht ein Engländer war…
Von Freunden eingeladen zu werden ist immer schön, vor allem, wenn man dies mit einem Kurzurlaub verbinden kann – von Hamburg nach Earls Colne in Essex ist es nur ein kurzer Flug von etwas mehr als einer Stunde und so machten wir, das heißt Eckhardt, Gaëlle, Marcus, Claudia, Ralf und ich, uns am Freitag Abend von Hamburg über Lübeck auf, um England zu erobern.
Trotz Aufgeregtheit bei Ralf – es war immerhin sein erster Flug – verlief die Reise problemlos und so erreichten wir, von allen Terroristen verschont, Stansted. Es war schon fast halb eins nachts (wohlgemerkt: GMT), und so freuten wir uns umso mehr, dass wir am Flughafen freudig in Empfang genommen wurden. Müde und hungrig ging es dann noch einige Zeit über Land (aber auf der falschen Seite der Straße) bis wir an unserem Ziel ankamen – einem Pfadfinderheim, in dem wir schlafen aber auch trainieren sollten. Viele, gut nummerierte, Räume lagen um eine Halle von etwa 100m² – vor allem gab es hier ein echtes „cupboard under the stairs“, leider ohne Harry Potter… Dafür gab es – neben Bier und Sandwiches für uns – Massen von Fahnen und Wimpeln, Bildern der Queen, viele Schilder mit Pfadfinderregeln und Versprechen sowie kaputte Duschen; irgendwie war alles etwas desolat – wie kann man bloß wichtig klingende Reden von guten Taten in bunten Uniformen schwingen, wenn man es nicht einmal zu Stande bringt, sein eigenes Haus in Ordnung zu halten? Mit Ausnahme der Küche und der Halle erinnerten alle anderen Räume eher an Container voller Sperrmüll (nach dem Zusammenpressen).
Nach wenig aber dennoch gutem Schlaf wurden wir von der strahlenden Morgensonne geweckt, es war warm und irgendwie mal wieder viel zu schön, um drinnen zu trainieren – ist England nicht eigentlich bekannt für das schlechte Wetter? Für Nebel und Regen? Alles fürs Frühstück war für uns da und so konnten wir, gut gestärkt, beim Aufbau der Matten helfen – 80m² für 30 Leute…..
Um 10Uhr sollte das Training beginnen und mit Pausen bis 17Uhr dauern, neben Eckhardt waren noch zwei andere Lehrer eingeladen. Und tatsächlich, so ab 9.55Uhr trudelten auch schon die ersten der Teilnehmer ein – die erste Einheit übernahm Ian, der sogar schon während des Aufwärmtrainings um 10.30Uhr auf der Matte auftauchte – bis zum Mittag trainierten wir AikiJutsu mit dem Bokken und erkannten viele Ähnlichkeiten mit unseren Schwertübungen.
Nach dem Mittag, den wir bei herrlichster Sonne und netten Gesprächen auf der Wiese verbrachten, versuchte Derek uns seine Sicht des Aiki näher zu erläutern – ich hatte zwar große Schwierigkeiten mit den harten und leider auch oft recht schmerzhaften Techniken, dem Spaß tat das aber keinen Abbruch!
Als letzter war Eckhardt an der Reihe: Er begeisterte mit den großen Bewegungen der Tendoryu nicht nur die Teilnehmer, sondern sorgte auch für große Augen und offene Münder bei den beiden anderen Lehrern! Auch wurde jetzt noch ein anderer großer Unterschied sichtbar: Beide anderen Senseis waren nicht nur je einen ganzen Kopf kleiner als Eckhardt, nein, sie hatten dazu noch das doppelte Gewicht und das erklärte natürlich den Mangel an Bewegung – vor über 300Jahren erklärte schon ein anderer Engländer, warum sich kleinere Massen um größere herum bewegen…
Nach dem Training machten wir uns zu Fuß ins Dorf auf; so konnten wir doch noch die schöne Landschaft von Essex im Spätsommer genießen. Während die Engländer schon alle im Pub saßen, zog es uns sechs mit enormem Hunger ins Colne Valley Tandoori, wo wir uns erstmal indisch stärkten und bereit waren allen anderen in den nächsten Pub zu folgen. Unsere Gastgeber zeigten sich hier sehr gesprächig uns interessiert; ich fand es war ein sehr schöner Abend. Ob es an den Pints, dem langen Training oder der kurzen Nacht lag, lässt sich nicht klären, wir sechs waren auf jeden Fall um 23Uhr im Bett….
Am Sonntag Morgen gab es dann für uns alle „english breakfast“ – baked beans, eggs, beacon, mushrooms, toast und natürlich sausages, bei deren Anblick sehnte sich Claudia dann aber doch nach ihrem Frühstück zu hause… Auch an diesem Tag sollten wieder mehrere Lehrer unterrichten, die drei von gestern aber auch Vertreter anderer Stile wie zum Beispiel Yoshinkai – zu meiner großen Freude wurde eine der 15minütigen Einheiten von Gaëlle geleitet, die souverän unser Aikido demonstrierte und für großes Staunen bei Ian und Derek sorgte, als Eckhardt ihr Uke war. Da nach dem siebten, achten (oder war es der neunte) Lehrer jeder rote Faden abhanden gekommen war, waren wir alle sehr froh, dass das Training gegen Mittag ein Ende fand. Mittlerweile hatten wir uns aber schon gut den englischen Gewohnheiten angepasst und so war es für uns nicht verwunderlich, dass der nächste Weg uns alle in einen Pub führte. Das herrliche Wetter und die super Stimmung machten es uns schwer an den Rückweg zu denken.
Die Rückreise verlief dann aber problemlos, auch wenn das Warten am Flughafen sicherlich nicht zu unseren Lieblingsübungen wird – auch ich war um 2Uhr morgens wieder in Harburg…
Trotz des zum Teil recht anderen Aikido-Stils hat mir die Reise großen Spaß gemacht und ich würde sofort wieder hinfahren; freuen würde es mich aber auch, wenn wir das nächste Mal die Gastgeber seien dürften!
Björn Ole Pfannkuche