Am Sonntag, dem 9. Dezember 2018, fand bei der Turnerschaft Harburg wieder einmal das traditionelle Weihnachtstraining der Aikido-Abteilung statt.
Dies ist möglicherweise nicht der “typische” Bericht über ein besonderes Ereignis. Ich möchte die Gelegenheit nutzen, auch ein wenig auf meinen Werdegang im Aikido einzugehen.
Von 2001-2007 lebte ich in Hamburg. Über die Musik lernte ich Eckhardt Hemkemeier kennen und begann kurz darauf, im Dojo Seishinkan (damals noch in der Glashüttenstraße) Tendoryu-Aikido zu trainieren. Damals wusste ich noch nicht, dass es eine ganze Reihe verschiedener Aikido-Stile gibt. Das war mir auch nicht so wichtig.
Es folgten viele Jahre intensiven Trainings. Was mich dabei besonders beeindruckte, war der Geist, in dem trainiert wurde, und den ich so intensiv noch nirgendwo anders kennengelernt hatte — außer vielleicht beim gemeinsamen Üben an einem Musikstück. Es ging nicht darum, sich mit anderen zu messen, sondern darum, gemeinsam mit- und aneinander zu wachsen. Eine absolut wichtige Voraussetzung hierfür ist gegenseitiges Wohlwollen. Dazu gleich noch etwas mehr.
Im Laufe der Jahre entwickelten sich viele Freundschaften. Einige für kurze Zeit — andere halten bis heute. Dazu gehören insbesondere die Freundschaften zu Eckhardt Hemkemeier und seiner Familie, sowie zu Björn Ole Pfannkuche und Robert Patzwald (und vielen anderen…).
Trotz mehrerer Umzüge bestand die Verbindung nach Harburg und nach Hamburg weiter. So lernte ich beispielsweise meine Frau beim Osterlehrgang 2008 mit Shimizu Sensei, dem Begründer des Tendoryu Aikido, in Hamburg kennen (inzwischen sind wir zu dritt).
Auf verschiedenen Umwegen führte mich mein Weg einige Jahre später wieder Richtung Nordwesten. Glücklicherweise unterrichtete Björn Ole Pfannkuche zweimal in der Woche in Wilhelmshaven Aikido. So war es naheliegend, diese Möglichkeit zu nutzen, um trotz meiner Odyssee mein Training weiterzuführen. Einer der Initiatoren des Trainings dort ist Jörg Wellpott, der inzwischen ein häufiger Gast auf verschiedenen Tendoryu-Aikido-Seminaren ist.
Zusammen mit Jörg kam ich bereits einen Tag früher in Harburg an, wo uns Björn Ole und Robert ein herzliches Willkommen bereiteten. Am Sonntag fuhren wir zeitig zum Dojo und machten erst einmal „Klar Schiff“. Es wurde geputzt, Staub gewischt und dekoriert. Nach und nach trafen immer mehr Gäste ein und halfen tatkräftig bei den Vorbereitungen mit. Besonders die Kinder hatten viel Spaß daran. Es fiel auf, dass sehr viele Familien dabei waren.
Teilweise hatten die Teilnehmer eine mehrstündige Anreise auf sich genommen, um beim Weihnachtslehrgang dabei zu sein. Die Gäste waren unter anderem aus Hamburg, Kiel, Hannover, Oldenburg, Essen und sogar Dänemark angereist, um gemeinsam zu trainieren und zu feiern. Als das Training schließlich begann, waren über 40 Leute auf der Matte – so viele wie nie zuvor!
Das Training wurde von Eckhardt Hemkemeier (Aikido Dojo Seishinkan Hamburg, 5. Dan Tendoryu Aikido) geleitet. Eckhardt benutzte immer wieder Bilder und bildhafte Vergleiche, um zu erklären, worum es ihm ging. Ein Beispiel handelte vom Paddeln, so gäbe es mindestens 32 verschiedene Eskimorollen. Auf ähnliche Weise sei auch die Art, die Aikido-Techniken auszuführen, sehr vielfältig — weil die Menschen, die sie trainieren, eben auch unterschiedlich sind. Dennoch ist es nicht egal, wie man eine bestimmte Form oder einen Bewegungsablauf ausführt. Man muss Rücksicht darauf nehmen, mit welchem Partner man gerade trainiert.
Schließlich trainieren wir nicht in Gewichts- oder Altersklassen oder nach Geschlechtern getrennt. Jeder trainiert mit jedem/jeder. Und genau das funktioniert nur mit gegenseitigem Respekt, Rücksicht — und eben Wohlwollen.
Indem man Kritik nicht als etwas Negatives nimmt, sondern als eine Chance, sich zu verbessern, ist es überhaupt möglich, weiterzukommen und aneinander zu wachsen. Hier liegt ein weiterer Grund, warum im Aikido im Gegensatz zu anderen Kampfkünsten grundsätzlich mit einem Partner/einer Partnerin trainiert wird: Wir sind aufeinander angewiesen, ‚Nage‘, also die „ausführende“ Person und ‚Uke‘ – die Person, mit der die Technik ausgeführt wird (Begriffe wie „Angreifer“ oder „Verteidiger“ drücken bei weitem nicht aus, worum es hier geht!). Ich schreibe hier absichtlich „mit“, weil das partnerschaftliche Üben ein ganz wesentlicher Bestandteil im Aikido ist. Es geht darum, sich aufeinander einzulassen und gemeinsam die Technik so gut wie möglich auszuführen.
Dabei gibt es genug Dinge, die das partnerschaftliche Training stören können:
- man ist sich fremd und es fehlt an Vertrauen
- man ist verkrampft (innerlich oder körperlich)
- man will etwas zu sehr („das _muss_ doch klappen!“)
- man ist abgelenkt
- man hat Angst (z.B. weil man eine bestimmte Falltechnik noch nicht gut beherrscht)
Umso wichtiger ist es, dass man es immer wieder probiert, sich hinterfragt, an sich arbeitet. Bis man sich gut genug kennt, Vertrauen hat, locker ist (aber nicht schlabbrig), fest (aber nicht verkrampft), fokussiert (aber nicht engstirnig) und ohne Angst (ohne leichtsinnig zu sein).
Ja, man braucht Disziplin, wenn man im Aikido weiter kommen möchte. Das bedeutet aber nicht, dass es im Aikido (zumindest so wie wir es verstehen) verboten ist, Spaß zu haben. Das darf man durchaus. Dennoch trainiert man mit Ernsthaftigkeit und ohne Albernheit.
All diese Punkte kamen bei Eckhardts Training zur Sprache. Es geht um Balance, Ausgewogenheit, das richtige Maß zu finden. Allerdings nicht um Mittelmaß oder Beliebigkeit.
Hierbei ist das Ausführen von Techniken oder das Erlernen von Bewegungsabläufen nur ein Mittel zum Zweck. Man verinnerlicht die Essenz. Man könnte sagen: „Aikido verändert das Bewusstsein.“ (allerdings nicht so, wie es bestimmte Pilze tun). Am Ende ist das Training nur ein Weg, über sich selbst hinauszuwachsen (ganz im Sinne von „Do“).
In diesem Sinne trainierten wir gut 90 Minuten, bevor nach dem Training eine weiterer wichtiger Punkt auf dem Programm stand: Eine Vielzahl von Mitgliedern erhielten eine Graduierung (im Gegensatz zu vielen anderen Kampfkunstarten gibt es beim Tendoryu-Aikido keine Prüfungen oder bunten Gürtel). Besonders für die Kinder war dies ein besonderer Moment. Viele haben im vergangenen Jahr große Fortschritte gemacht, und das wurde nun honoriert.
Nach dem traditionellen Gruppenfoto (über 40 Personen – sagte ich das bereits?) ging es in die „Villa“ (im Erdgeschoss des Vereinsheims), wo bereits ein beeindruckendes Buffet auf die Gäste wartete.
Bei kulinarischen Köstlichkeiten (Dorothea hat sich selbst übertroffen!) saßen wir noch einige Stunden beisammen. Es wurden lange Gespräche geführt und die Gelegenheit genutzt, alte Freundschaften zu pflegen — und vielleicht auch so manche neue zu knüpfen oder zu vertiefen.
Ich möchte den Gastgebern der Turnerschaft Harburg, insbesondere Björn Ole Pfannkuche und Robert Patzwald sowie allen Mitgliedern der Aikido-Gruppe für die herzliche Gastfreundschaft und die Organisation eines durchweg gelungenen Weihnachtstrainings danken und hoffe, bald wieder in Harburg zu Gast sein zu dürfen.
Jørgen Lang, Hatten bei Oldenburg