Biegsam wie ein junger Baum im Wind
„Es war eine ganz andere Atmosphäre als sonst im Dojo. Irgendetwas lag in der Luft!“, „Beeindruckend, wie beweglich der Sensei noch ist!“ und „Ich wollte ihn einfach nur mal sehen!“ waren Aussagen, welche man nach dem 3-tägigen Lehrgang des Meisters Kenji Shimizu häufiger gehört hat.
Die Beteiligung unser Tendoryu-Abteilung an dem Lehrgang war sehr groß. Von den insgesamt 45 Teilnehmern waren 12 aus der Turnerschaft Harburg. Und wer keinen Platz für den Lehrgang bekommen hat, der kam eben einfach als Zuschauer vorbei.
Pünktlich und zur Zufriedenheit der hiesigen Trainer standen alle Teilnehmer umgezogen um 19:30 Uhr auf der Matte. Viele wussten bereits, dass Shimizu Sensei zur Begrüßung ein Bild enthüllen sollte und alle waren gespannt darauf es zu sehen. Das Bild zeigt Shimizu Sensei im Seiza (einer traditionellen japanischen Sitzhaltung) und mit aufmerksam nach vorn gerichtetem Blick. Die Hände in den Schoß gelegt zeigt es ihn von der Seite. Der Hintergrund ist leicht verschwommen und seine Körperhaltung ist unbeschwert, gerade. Das Bild hat einen guten Platz im Eingangsbereich des Dojos gefunden.
In dem Buch „Der längere Atem“ schreibt George Leonard, welcher seit vielen Jahren Aikido praktiziert: „..mit jeder Stufe, die ich zum Dojo erklimme fallen mehr und mehr die Sorgen des Alltags von mir ab und sobald ich über die Türschwelle am Ende der Treppe steige, befinde ich mich in einem Zustand völliger Ruhe und Gelassenheit“. Im Seishinkan tritt dieses Gefühl ebenfalls beim Betreten des Eingangsbereiches ein, wo nun auch das Porträt hängt und eine angenehme Ruhe für die Ankömmlinge, welche häufig gestresst von der Arbeit kommen, verbreitet. Durch eine losgelöste innere und eine entspannte äußere Haltung kann ein Aikido Training sogar sehr erholsam sein.
Die Lehrgänge Senseis werden seit Jahren begleitet von seiner Frau, welche übersetzt, und seinem Sohn, welcher mit ihm die Techniken demonstriert. Selten habe ich einen so aufmerksamen und wachen Uke erlebt, wie Waka Sensei. Der Respekt vor seinem Vater ist dabei jederzeit spürbar. Solange er nicht aktiv werden muss, kniet er achtsam neben Sensei ohne dabei Blickkontakt zu suchen und steht bei der kleinsten Geste wieder bereit.
Highlight des ersten Tages war der Rollentausch, bei dem Shimizu Sensei die Rolle des Uke einnahm. Er ist lebendiger Beweis für die Praktizierbarkeit von Aikido auch im hohen Alter und so landete der 75-Jährige auch nach komplizierten Würfen noch immer sanft und anmutig auf dem Boden. Er erklärte, ein Aikidoka müsse nachgiebig wie ein junger Baum im Wind auf die äußeren Kräfte reagieren. Nur aus der fließenden Bewegung sei es möglich die Bewegung des Angreifers aufzunehmen und umzulenken. Die Hände harmonieren mit den Bewegungen der Arme wie die Blätter an einem schwingenden Ast. Feste unnachgiebige Bäume werden im Sturm schneller entwurzelt, bemerkte Sensei.
Am zweiten Tag besuchte der japanische Konsul das Dojo und nutzte die Gelegenheit seine Freude über die langjährige Freundschaft zwischen Eckhardt und Shimizu Sensei zu bekunden. Shimizu Sensei besucht regelmäßig das Dojo in Hamburg und dies war bereits sein achter Lehrgang. Von der Vielzahl der Schüler, welche diese japanische Kunst lernen wollen und der augenscheinlichen Disziplin war der Konsul sehr beeindruckt.
In den drei Tagen wurden viele Grundtechniken geübt. Sensei unterstrich nochmal die große Bedeutung, welche in der korrekten Durchführung dieser scheinbar einfachen Bewegungen liegt. Allein bei der Ausführung von Shihonage, ließe sich bereits das tiefere Wesen von Aikido ergründen.
Dies ist nur ein kleiner Ausschnitt aus dem Lehrgang und ich habe versucht meine subjektiven Eindrücke und Erkenntnisse ein wenig zu veranschaulichen. So ein Lehrgang bietet tolle Möglichkeiten Erinnerungen zu sammeln und ich bin mir sicher jeder Einzelne hat viele solcher tollen Impressionen für sich mitgenommen.
Lustige Anmerkung zum Schluß: Im alten Japan wurde grundsätzlich im Seiza gesessen, da es keine Stühle gab. Es gibt Berichte über einen Shōgun der Sengoku-Zeit, der über einen Stuhl so erstaunt war, dass er ihn bei Prozessionen vor sich her tragen ließ.
Tobias Wessels