Japan, eine Reise in einen fernen Kulturkreis
In diesem Jahr beschloss ich, zum zweiten Mal in meinem Leben Europa zu verlassen. Das erste mal war Teneriffa und das liegt ja auch nur geographisch nicht auf unserem Kontinent. Vor dem Ziel lag eine 12-stündige Flugreise, und das, wo ich doch eh nicht viel vom Fliegen halte; aber die Neugier auf Japan war stärker als alle meine Bedenken.
So startete ich am 14. Oktober mit 5 weiteren Hamburgern vom Flughafen Fuhlsbüttel, um mit einem Zwischenstopp in Istanbul am Montag in Japan anzukommen. Meine Bedenken hinsichtlich des Fliegens waren schon nach wenigen Stunden ad acta gelegt. So einen ruhigen und absolut problemlosen Flug hatte ich noch nie. Es dauerte insgesamt (mit Zwischenstopp) ca. 15 Stunden, bis wir in Narita, dem internationalen Flughafen von Tokio, landeten.
Am Airport, und somit dem ersten Schritt auf japanischem Boden, bekam ich sofort einen positiven Eindruck: Bereits die Passkontrolle war so freundlich, wie man es im Land des Lächelns erwarten würde. Der Pass wurde freundlich in Empfang genommen (selbstverständlich mit beiden Händen übergeben) und eine Entschuldigung, dass Fingerabdrücke genommen werden müssten folgte zugleich – mit vielen freundlichen „Domo arigato gozaimasu“ (Danke auf Japanisch). Diese Art von Dankesbekundungen sollte ich in den kommenden beiden Wochen noch oft in Japan zu hören bekommen.
Eckhardt hatte freundlicherweise für uns alle einen Transport vom Flughafen zu unserem Hotel organisiert. Der Fahrer hatte viel Mühe unsere sehr voll gefüllten Koffer (meiner wog 29,7 kg, da wir fürs Tendokan sowohl Bücher als auch Kalender mitbrachten) in den kleinen Transporter zu wuchten. Aber der nette Japaner verzog keine Miene um sich „keine Blöße“ zu geben. Wir fuhren zum Hotel, um von dort, nachdem wir uns frisch gemacht hatten, sogleich den Weg zur Hochzeitsfeier von Marcus & Sachiko zu nehmen. Wir hatten also schon am ersten Nachmittag ein volles Programm. Dies stellte sich im Nachhinein auch als sehr glücklich heraus: So hatten wir weniger Probleme die Zeitverschiebung zu überwinden.
Gleich am ersten Tag lernte ich das U-Bahn-System Tokios kennen: Bunt, ungewohnt groß, für Neulinge etwas kompliziert aber doch sehr logisch aufgebaut. Kennt man den HVV in Hamburg, so hat man das Gefühl, dass in der Hansestadt ein provinzielles Verkehrssystem vorhanden ist. In Tokio ist alles größer, schneller und dabei absolut effizient. Mehrere Verkehrsgesellschaften decken das Gebiet Tokios ab und funktionieren mit einem einheitlichen Abrechnungssystem. Man kauft eine Karte und lädt diese mit einem gewünschten Betrag auf. Jede Fahrt beginnt damit, dass man seine Karte über ein Feld zieht, wonach man den eigentlichen Bahnhofsbereich betreten kann. Zum Ende einer Fahrt durchquert man eine Schranke, die sich nur öffnet, wenn man die Karte erneut über ein Feld zieht. Der Fahrpreis wird abgebucht. Sollte man mal nicht genug Geld geladen haben, kann man nicht schwarz fahren, sondern zahlt am (ständig mit mindestens einer Person besetzten) Schalter nach. Ein gutes System, wie ich finde.
Nun aber zur Hochzeitsfeier: Diese fand unter dem Tokio-Tower (eine Haupt-Touristenattraktion) statt und bot durch das traditionelle Gasthaus in einer wunderschönen Parkanlage eine Welt für sich. Wir wurden freundlich begrüßt und von sehr freundlichen Damen auf unsere Plätze geleitet, die mit einer Speise-/Namenskarte und einem Gastgeschenk auf uns warteten. Es war für mich eine große Freude Marcus und Sachiko begrüßen zu können, ich habe das Training im Seishinkan mit Marcus oder unter seiner Leitung sehr genossen und freute mich natürlich, mit ihm auf dem Weltseminar oder im Tendokan trainieren zu können. Nach einigen Reden und dem „Zerschlagen des Spiegels“ (Traditionell wird in Japan beim Kagamibiraki mit dem Eintauchen des Bechers ins Sakefass das Spiegelbild der Oberfläche unterbrochen, um sich als zeremonieller Neuanfang neu zu formen) begann das Essen. Unter den vielen Köstlichkeiten war auch Wagyu Rind, ein derart zartes Fleisch habe ich noch nie gegessen. Immer wieder wurde das Essen von Reden der geladenen Gäste unterbrochen, eine willkommene Abwechslung, um durch viele Anekdoten mehr bzw. neues über das Hochzeitspaar zu erfahren. Neben den Familien von Marcus und Sachiko waren auch Arbeitskollegen und Freunde aus dem Tendokan zugegen. Die Reden der vielen Japaner, auch von Kenta Shimizu, wurden sehr gut von Henry de La Trobe übersetzt. Somit konnten wir nicht nur alles verstehen, sondern bekamen durch die zusätzlichen Informationen erste Eindrücke in die japanische Seele.
Ungewohnt war auch das abrupte Ende der Feierlichkeiten: Punkt 20:30 Uhr war Schluss. Wer kennt es nicht, man besucht eine Feier und überlegt nach einer Weile: Wann kann ich gehen? Hier in Japan ist das Ende festgelegt, und das nicht ungefähr, sondern genau.
Marcus und Sachiko luden uns noch zur After-Party ein und dazu fuhren wir per Taxi ins Zentrum von Tokio. Wir waren froh, dass wir am nächsten Tag ausschlafen durften. Eine Feier mit freiem Blick von der Dachterasse in Richtung Himmel war der Abschluss eines langen aber sehr schönen Tages. Kalt war es nicht, wir hatten über die Reise eine Durchschnittstemperatur von 21°C. Nachdem wir uns verabschiedet hatten, freuten wir uns auf unsere Futons im Hotel Fukudaya.
Um 9 Uhr am nächsten Morgen begann eine unserer vielen Sightseeing-Touren. Wir suchten uns in Richtung Sangenjaya eine Frühstücksmöglichkeit. Natürlich wollten wir japanisch essen, warum sonst reist man in ferne Länder? Während dieser ganzen Reise haben wir unseren Mitreisenden nur einmal nachgegeben und europäisch gefrühstückt, dies war prompt ein absoluter Reinfall. Der Kaffee war selbst mir zu stark und das Croissant war pappig und teuer. Also zurück zum Frühstück: Es gab Fisch, Reis mit rohem Ei und die immer und überall anzutreffende Miso-Suppe. Dazu einen kleinen Salat und bevor man bestellte, stand der Tee bereits auf dem Tisch. Welch ein Service. Schnell und freundlich. Ich mochte das japanische Essen sehr. In den nächsten Tagen hatte ich auch die Gelegenheit Natto (vergorene Bohnen) zu versuchen. Leider kam ich nicht dazu, Schnecken zu probieren. Zurück zu unseren Sightseeing Touren. Im Grunde war jeder Tag wie folgt aufgebaut: Gab es Frühtraining (im Tendokan, dem Hauptsitz unseres Aikido-Stils) haben wir es besucht, um danach zum Hotel zurück zu kehren und irgendwo zu frühstücken. Dann begannen unsere Touren quer durch Tokio. Über japanische Gärten, Tempelanlagen, den Fischmarkt oder andere interessante Orte. Abends ging es dann zum Training und so wurde jeder Tag optimal genutzt.
Das Highlight unserer Reise, und den eigentlichen Grund, stellte das tendo world aikido Seminar auf der Halbinsel Izu dar. Knapp 250 Kilometer südwestlich von Tokio sollte sich eine uns vollkommen andere Seite Japans zeigen. Am Freitag trafen wir uns um 6 Uhr am Tendokan um von dort mit 4 Bussen zu unserem Ziel, dem Kannon Onsen, aufzubrechen. Die Japaner hatten die Reise perfekt durchgeplant. Es gab viele Zwischenstopps und einer der schönsten war auf der Hinreise in einem anderen Onsen. Hier gab es einen kleinen Snack und man hatte die Möglichkeit, seine Beine im warmen Wasser baumeln zu lassen. Umgeben von Bambus und schön geschnittenen Bäumen hatten wir das Gefühl: Was soll jetzt noch Besseres kommen?! Aber es kam noch besser… Nach gut 3,5 Stunden hatten wir die sehr bergige Gegend um das Kannon Onsen erreicht und mussten in Mini-Busse wechseln. Das Gepäck wurde in einen extra Transporter verladen und konnte schnell aufgrund der vorangegangenen Organisation mit Namensschildern versehen den Zimmern/Personen zugeordnet werden. Mit den Mini-Bussen fuhren wir über enge Straßen bzw. Feldwege höher und höher und erreichten bald unser Ziel. Hilfreich stand jederzeit das Orga-Team des Tendokan bereit. Angekommen bezogen wir die Zimmer und starteten mit der ersten Trainingseinheit.
Auf der Matte begrüßte uns Shimizu Sensei herzlich und wir fühlten sofort die gute Atmospäre des besonderen Trainingsortes. Es war jedem klar, dies war kein normaler Lehrgang; es war eine besondere Stimmung, die nur an einem so besonderen Ort aufkommen kann. Das Tempo war, wie im Tendokan, sehr zügig. Die Suche nach einem Trainingspartner war problemlos, sobald ein Japaner neben mir saß, wurde ich sofort von diesem aufgefordert. Hier zeigte sich, dass insbesondere die Japanerinnen neugierig auf uns Ausländer waren. Bemüht, in meiner Zeit in Japan, so viele unterschiedliche Trainingspartner wie nur möglich zu bekommen, freute ich mich auf jeden Wechsel und auf die kommenden Trainingseinheiten.
Nach dem Training wurde gemeinsam die Matte geputzt, es war nicht viel anders als bei uns in Hamburg. Frisch geduscht und mit einer Yukata bekleidet gingen wir zum Essen. In Japan isst das Auge sprichwörtlich mit, so sorgfältig zusammengestellt, mit unzähligen Schalen und Schüsseln, glich das Essen eher einem Kunstwerk, zu schade, um nur das Hungergefühl zu bekämpfen.
Nach dem Essen machte ich mit ein paar anderen Trainierenden sofort auf den Weg ins heiße Bad. Leider konnten wir dort nur ein paar Minuten verweilen, das Onsen wurde gerade gereinigt. Leider war in dem Becken in unserem 7 Personen-Zimmer noch kein Wasser und so mussten wir bis zum Abend warten. Waren wir nicht beim Essen oder Trainieren, so saßen wir im Onsen. Am Samstag gab es die Gelegenheit mit dem Shuttle in die nahe gelegene Stadt Shimoda zu fahren. Hier war damals Admiral Perry in Japan gelandet, und seine Statue, der Hafen und das Kleinstadtfeeling waren einen Besuch wert.
Am letzten Abend fand eine Grillfeier mit vielen köstlichen Speisen (bekannteren und noch nie gesehenen) statt. Hatte man noch nicht im Vorwege die vielen Gelegenheiten zum Gespräch mit den Japanern bzw. den Trainierenden aus aller Welt nutzen können, so war hier definitiv die Gelegenheit. Mit jedem Glas Sake wurde die Feier fröhlicher und man bemühte sich sehr, sich nichts vom vielen Sake anmerken zu lassen. Obwohl auch diese Feier eine Endzeit hatte, so ging sie dennoch bis spät in die Nacht. Am nächsten Tag fuhren wir über eine vollkommen andere Route zurück zum Tendokan. Zwar sahen wir nicht wie auf dem Hinweg den Fuji-San, dafür machten wir einen Zwischenstopp an der Küste und genossen bei einem Spaziergang den Blick über den Ozean. Hoch oben auf einer Klippe stand ein Leuchtturm und bot bei perfektem Wetter einen herrlichen Blick auf die Weite des Pazifiks. Ob Admiral Perry auch einen so schönen Tag hatte, als er hier gelandet ist?
Stunden später (aufgrund der Rush-Hour) kamen wir abends am Tendokan an und beendeten somit das eigentliche Welt-Seminar.
Die nachfolgenden Tage nutzten wir um Inga, die erst zum Seminar in Japan ankam, viele weitere Sehenswürdigkeiten zu zeigen. Womit wir nun wirklich nicht gerechnet hatten, war die „Sayonara-Party“ am letzten Abend im Dojo. Eine improvisierte Feier, die schöner und überraschender nicht hätte sein können. An dieser Stelle ein großes Danke in Richtung Tendokan und an das Orga-Team.
Mit vielen wehmütigen Blicken fuhren wir am Samtag wieder mit unserem Transporter zum Flughafen. Uns allen war klar: Wir waren nicht das letzte Mal in Japan! (Zumindestes setzen wir alles daran, wieder zu kommen.) Der Rückflug war, wie der Hinflug, absolut unproblematisch. Dank Mert konnten wir die Nacht von Samstag auf Sonntag problemlos in Istanbul überbrücken – Danke Mert, einfach Klasse. Spätestens beim deutschen Zoll merkte dann jeder, dass wir wieder in Europa waren: Höflichkeit, leider nein.
Mein bewegendster Eindruck und das sogleich prägendste Ereignis dieser Reise war die Unterhaltung mit Kuryuki-San, Marcus und Volker Marczona. Kuryuki-San berichte uns darüber, wie schwer es ihm mit seinen 83 Jahren fiel, fürs Training im Kannon Onsen fit zu werden und dass er so glücklich sei, es geschafft zu haben. Wir alle waren von seiner Einstellung sehr beeindruckt und ermunterten ihn, es auch im nächsten Jahr wieder zu versuchen. Diese innere Stärke, trotz schwächer werdendem Körper, jedes Training mitmachen zu wollen und zu können, werde ich immer in Erinnerung behalten, und versuchen mir zu eigen zu machen.
Robert Patzwald