Mit großer Erwartungsfreude sind wir – Dorothea, Jörg, Andreas und ich – am Sonntag (17.06.) früh in Richtung Herzogenhorn (Schwarzwald) aufgebrochen. Dort findet jährlich der Bundeslehrgang mit Shimizu Sensei, der in diesem Jahr seit 40 Jahren nach Deutschland kommt, statt. Aufgrund der Vielzahl der Interessierten sind es zwei Wochen, die von zwei Gruppen wahrgenommen werden. Wir hatten eine erstaunlich gute und unterhaltsame Anreise.
Nach dem Abendbrot haben alle Teilnehmenden das Dojo hergerichtet.
Am Montag um zehn Uhr startete das erste Training. Die Höhenluft und das engagierte Training haben uns schnell sehr erhitzt und nach Luft ringen lassen und mahnten uns zu einem besonnenen Einsatz der Kräfte.
Zu den Techniken, die wir geübt haben, gab es Erläuterungen und darauf möchte ich in meinem Text eingehen. Das ist nun eine sehr persönliche und damit eingeschränkte Auswahl und andere werden zu ganz anderen Sichtweisen gekommen sein.
Begonnen hat es mit Erläuterungen durch Shimizu Sensei zu Harmonie und Bewegung. Einerseits auf die Techniken bezogen und andererseits – grundlegender – zu der Verbindung von „Geist und Körper“.
Im Laufe der Woche hat Wakasensei Shimizu Kenta, der Sohn von Shimizu Sensei, ein Beispiel über die Bedeutung der Verbindung von Körper und Geist angeführt.
Er berichtete über seine Einladung, in einer Schule für sehr begabte Schülerinnen und Schüler, Aikido zu unterrichten. Er war mit der Erwartung der Einladung gefolgt, dass es leicht sein müsse, so intelligenten Schülerinnen und Schülern Aikido nahe zu bringen. Das Gegenteil war der Fall. Diese sehr schlauen Menschen haben sich sehr schwer getan, das Gehörte und das Beobachtete mit dem Körper in einen Bewegungsfluss zu bringen.
Nun ist „Geist“ sicher nicht mit Intelligenz gleichzusetzen.
Eine rein mentale Durchdringung der Übungen bringt ebenso wenig wie eine bloße Wiederholung der Bewegungen ohne innere, mentale Beteiligung.
In meiner Wahrnehmung hat Wakasensei das Thema an anderer Stelle wieder aufgegriffen: Er sprach über den Kreis.
Der Fokus lag auf der Beziehung von Uke und Nage (dem Werfer und dem Geworfenen). Eine Beziehung, die im Training keinen Anfang und kein Ende hat, sondern in einem Kreislauf ihre Dynamik entfaltet, ohne dabei gleichförmig zu sein, sondern entwicklungsoffen ist. Es ist nicht festgelegt, welcher Angriff kommt und welche Technik antwortet.
Dabei sind die Übenden nicht nur mit ihren Körpern, sondern mit ihrer inneren mentalen Aufmerksamkeit und einem inneren Engagement gefordert.
Im Anschluss hat Sensei aus meiner Sicht das Thema vertieft. Seine Ausführungen zu den Techniken bezogen sich auf „Form und Inhalt“, die im Einzelnen allein ihren Sinn verfehlen. Die Form der Ausführung einer Technik bleibt oberflächlich ohne den Inhalt – sprich die gehaltvolle lebendige Ausführung durch die Übenden.
Zugespitzt hat Sensei das in dem Begriff des „narzisstischen Aikidoka“, dem es nur auf die äußere Form oder die Dauer der Zugehörigkeit und nicht auf den Inhalt, das Erreichte ankommt. So kann jemand Jahrzehnte üben, ohne weitere Fortschritte zu machen und selbstverliebt die Jahre zählen.
Der reiche Erfahrungsschatz von Shimizu Sensei zeigte sich in einer Geschichte eines Soldaten des Zweiten Weltkriegs, den er in jüngeren Jahren persönlich kennenlernte. Der Soldat ist nach drei Tagen Schlacht mitten in den Kämpfen vor Erschöpfung eingeschlafen und hat deshalb als Einziger überlebt.
Für mich stellte sich da eine Verbindung zu dem Thema des Kreises her. In der Kraft und Stärke der Erschöpfung des Soldaten liegen ein Ende und ein Anfang zugleich. Das Ende des Krieges (für ihn) und zugleich der Anfang in der Möglichkeit sein Leben weiterzuführen.
Der Soldat berichtete Shimizu Sensei auch von der Beschämung, die sein Überleben für ihn mit sich brachte. Es muss ihn viel Kraft gekostet haben, weiter zu machen, sich zu überwinden.
Auch ein Thema, das von beiden, Wakasensei und Shimizu Sensei, immer wieder betont wurde, sich im Training immer erneut zu überwinden, sich den eigenen Herausforderungen zu stellen. Eine geistige / mentale Überwindung, dem der Körper dann folgt.
In dem Bild des Kreises lassen sich meines Erachtens viele Themen finden.
Man kann den Kreis als etwas perfektes sehen, für langweilig halten, als etwas unendliches und damit auch als beängstigend erleben. In dem Kreis(lauf) des Übens, eben nicht ohne Energie, in einer gleichförmigen Monotonie Techniken narzisstisch zu wiederholen und sie damit nicht zu verstehen, bedeutet auch, die Herausforderung des Kreises anzunehmen. Die Endgültigkeit, die in der Form des Kreises liegt, fordert immer wieder alle Übenden heraus, die Form mit Inhalt – mit Leben – zu füllen.
Mit viel Energie zu üben, ohne wiederum die Form zu verstehen und sie damit auch zu wahren, wird ungestüm den Kreislauf unterbrechen.
Folgt man dann der Idee des Kreises, ist die Anstrengung gefordert – trotz und mit der „beschämenden“ Erfahrung der eigenen Unzulänglichkeiten, immer wieder neu zu beginnen… Jeden Tag neu. Jedes Training neu. Jede Übung ein Neubeginn, ohne das Alte vergessen zu haben…
Das tägliche Training hier in Harburg unter der Leitung von Björn hat uns hervorragend auf diese Woche vorbereitet.
Zum Schluss sei noch mal betont, dass wir natürlich nicht an einem Oberseminar in Philosophie teilgenommen haben. Wir hatten eine spannende Trainingswoche mit tollem Aikido, mit netten Leuten, guten Gesprächen und vor allem viel Spaß!!
Meinen Dank an alle, die das ermöglicht haben!!
Alexander Diekmann