Treffen mit Freunden am anderen Ende der Welt – Tendo World Seminar 2015
Nach den großen Erfolgen 2009 und 2012 waren wir im Herbst 2015 wieder zu einem Tendo World Seminar nach Japan eingeladen – ein weiterer guter Grund eine Reise in dieses schöne Land zu unternehmen. Wenn man schon fast 12 Stunden im Flieger sitzt, dann will man aber nicht nur für die Zeit des Lehrgangs dort drüben sein, und so machten wir uns zusammen mit Jörg bereits am Samstag, dem 10. Oktober, auf die lange Reise. Auf dem Weg von Hamburg über København nach Tokio begleiteten uns auch Enrico, Eckhardt, Gaëlle und Gwenn aus dem Aikido Dojo Seishinkan.
Der Flug verlief ruhig, aber unser 12 Jahre alter Airbus hatte schon bessere Tage gesehen, und so waren die Ausstattung mies, die Sitze durchgesessen, und auch die Sauberkeit ließ sehr zu wünschen übrig. Was uns zusätzlich auffiel, war die Tatsache, dass wir mit jedem Flug nach Japan weniger und schlechteren Service bekommen – dass man ab dem dritten Getränk weitere bezahlen muss, hätten wir bei einem Langstreckenflug eher Ryanair als SAS zugetraut.
Bei der ersten Begegnung mit dem Flughafenpersonal in Narita merkten wir sofort: Wir waren in Japan! Unsere Koffer wurden per Hand auf das Laufband gestellt (und fielen nicht aus 2m Höhe aufeinander, wie wir es auf Teneriffa erlebt hatten) und alle waren extrem höflich.
Tokio empfing uns am Sonntag Morgen leider im Regen, aber mit angenehmen 22 Grad. So machten wir uns mit einem Flughafen-Shuttle-Bus und der Metro auf den Weg zu unserem Hotel und checkten erstmal ein. Um dann möglichst schnell in einen guten Zeitrhythmus zu kommen, wollten wir uns trotz der Müdigkeit nicht hinlegen; nach einer Dusche machten wir uns gleich in Richtung Shibuya auf, und da der Regen mittlerweile aufgehört hatte, konnten wir den Spaziergang auch in Ruhe genießen. Ruhe ist hier aber eigentlich das falsche Wort, denn so etwas wie Ruhe herrscht in Tokio nirgends – vor allem nicht in Shibuya. Enrico und wir waren ja schon in Japan gewesen, aber für Jörg war alles neu und so wurde jedes Detail photographiert. An der berühmten Shibuya-Crossing machten wir eine Pause und ließen das Gewühl der Passanten auf uns wirken. Wenn die Fußgänger grün haben, dann ist die gesamte Kreuzung für Fahrzeuge gesperrt und innerhalb von Sekunden ist von der Fahrbahn nichts mehr zu sehen. Kein Wunder, so queren doch in Spitzenzeiten bis zu 15.000 Menschen pro Ampelphase die Straße. Wie die Ameisen laufen die Menschen kreuz und quer, umringt von Wolkenkratzern mit hunderten riesigen Reklametafeln. Wenn der optische Eindruck einen schon erschlägt, dann muss man sich dazu noch die Geräusche vorstellen, denn überall piept und tönt es, laufen Musik (oder was der Japaner dafür hält) und Werbung.
Lange ließen wir dieses Menschenmeer von außen auf uns wirken, bevor wir einen kleinen Abstecher zu der Statue von Hachiko, dem berühmten Hund von Shibuya, machten und uns dann zum Sushi-Essen in eine Seitenstraße zurückzogen.
Neben vielen anderen Dingen übt vor allem das kulinarische Japan eine riesige Anziehungskraft auf uns aus, denn man bekommt nicht nur für einen sehr günstigen Kurs sehr leckeres Essen, es wird auch mit einer solchen Frische und Liebe zum Detail gemacht, wie wir es auch Deutschland kaum kennen. So endete unser erster Abend in Japan bei diesem kleinen Kaiten-Sushi, den wir schon von früheren Besuchen kannten. Zur Erklärung: Sushi meint in Japan fast immer Nigiri und nicht die bei uns so bekannten Maki-Rollen. Die Gäste sitzen um ein Laufband herum, auf das der (in der Mitte) stehende Koch immer wieder kleine Teller mit 2 Nigiri stellt – die Farbe der Teller bezeichnet hierbei den Preis. Ab 100 Yen (ca. 75 Cent) bekommt man die herrlichsten Köstlichkeiten und nicht nur den in Deutschland bekannten Lachs. Hier gibt es Unagi (Aal), Tamago (Ei), Uni (Seeigel), Hotate (Jakobsmuschel), Saba (Makrele), Ebi (Garnele), Maguro (Thunfisch) und noch unzählige andere Dinge aus dem Meer. Dazu nimmt man sich grünen Tee – soviel man mag – und wenn der Koch die eigene Leibspeise mal nicht auf das Band gestellt hat, so muss man sie eben bestellen – auf japanisch…
Ab dem kommenden Morgen zeigte sich Japan dann fast zwei Wochen lang im besten Herbstwetter; der Oktober ist nicht umsonst eine der beliebtesten Reisezeiten. Bei strahlendem Sonnenschein und Temperaturen um die 23 Grad nutzen wir den trainingsfreien Montag für einen Besuch in Kamakura (jap. wörtlich: „Sichellager“).
Bereits 2012 hatten wir zusammen Kamakura und seine vielen Tempel besichtigt. Der Entschluss eines Wiederholungsbesuchs sollte sich als sehr glücklich gewähltes Tagesziel herausstellen.
Für die Fahrt vom Hotel bis Kamakura ist auf jeden Fall eine Reisezeit von über einer Stunde einzukalkulieren. Versprach das Wetter am Anfang nicht viel, so klarte es um so mehr auf, je näher wir Kamakura kamen. Dort angekommen hat man die Wahl zwischen diversen Tempelanlagen.
Wir wählten, wie bei unserem letzten Besuch, die buddhistische Tempelanlage Engaku-ji (einer der Haupttempel der Rinzai-Schule aus dem Jahre 1282). Der Engaku-ji war über die gesamte Kamakura-Zeit ein Zentrum sino-japanischer Kultur. Für den Besuch der Tempelanlage ist ein kleiner Obolus zu entrichten. Bei perfektem Wetter war jeder Yen gut investiert. Dieser schöne Tempel beeindruckt nicht nur durch seine Größe, sondern auch durch die Einzigartigkeit japanischer Baukunst – was man aus Holz zaubern kann, begeistert uns immer wieder aufs Neue. In der Tempelanlage selbst trifft man auf diverse kleine Tempel mit Friedhöfen und Gebetsräumen. Wir entschieden uns, zunächst eine um einen Friedhof erbaute Anlage (gegen eine freiwillige Gebühr) zu besichtigen. Ein solcher Abstecher abseits der Hauptattraktion sei an dieser Stelle jedem ans Herz gelegt. Japanische Steingärten sind schon etwas Schönes, vor allem mit viel Liebe zu einer Gartenlandschaft gestaltet. Das Sortieren der vielen Photos wird viel Zeit kosten…
Im Tempel besuchten wir auch einen buddhistischen Gebetsraum, der sich auch gut als Dojo eignen würde. Wie in den meisten traditionellen Gebäuden galt natürlich auch hier: Schuhe ausziehen, ins Regal stellen und erst dann die Räumlichkeiten mit einer gehörigen Portion an Respekt, gegenüber Kultur und verwendetem Material, betreten. Gepflegte Hölzer und traditionelle Tatami prägen diese Atmosphäre besonders. All das, was in unseren Augen auch zu einem Dojo gehört oder zumindest gehören könnte.
Nachdem wir uns am Ausgang wieder versammelt hatten, gingen wir entlang der Hauptstraße von Kamakura; unser Ziel war der wichtigste Shintō-Schrein der Stadt. Der Tsurugaoka Hachiman-gu wurde ursprünglich im Jahre 1063 nahe Yuigahama gebaut und im Jahr 1191 an den heutigen Ort in Kamakura verlegt. Dieser, dem Kami Hachiman geweihte Shinto-Schrein trohnt nun mit Blick über Kamakura, majestätisch auf einem Hügel gelegen, und gilt für viele Touristen, neben dem von uns vor 3 Jahren besichtigten Kōtoku-in Buddhas, als der Sightseeing-Ort schlechthin.
Am Fuße der Treppe, die zum Schrein führt, zogen schnell die Kyūdōka, die japanischen Bogenschützen, unsere Blicke auf sich. Gruppen von Männern und Frauen wechselten bei einem Zielschießen auf eine ca. 30 Meter entfernte Zielscheibe (jap. „Mato“). Um das Areal der Vorführung herum versammelten sich die besten Objektive und Kameras nebst Besitzern, ihr Ziel war es, die Pfeile und Personen möglichst perfekt abzulichten. Nicht nur ein schneller Finger war gefragt, sondern auch die Kunst zu erahnen, wann der Bogenschütze den Pfeil auf seinen Weg entlässt. Das Timing war hier genauso wichtig wie im Aikido.
Am Fuße des Tempels stoppten wir wie vor 3 Jahren, um Amazake (auch Rei, dt. „süßer“ Sake) zu trinken. Der Amazake ist ein traditionelles japanisches Getränk aus fermentiertem Reis, süß, alkoholarm und trübe. Er wird warm serviert, und wir nutzen diese kleine Pause, um neue Kraft für das nächste Tagesziel zu tanken: Enoshima.
Mit der Enoshima Electric Railway, einer Schmalspurbahn, ging es nach Enoshima (dt. „Insel [in] der Bucht“). Enoshima ist eine kleine Insel mit einem Umfang von gerade mal 4 km. Vor 3 Jahren hatten wir keine Zeit für einen Besuch und so gingen wir dieses Mal über einen Damm zur Insel. Bevor wir uns in die kleinen Gassen stürzten, fiel unser Blick zuerst auf den Fuji-San. Der heilige Berg Japans guckte kurz hinter den Wolken am Horizont hervor, von uns nur durch die aufgeregten Gesten der Japaner bemerkt. Robert probierte auf der Insel mit mir seine erste Schnecke, eine Abalone. Gegrillt, und von der Konsistenz doch ein wenig zäh, wird diese jedoch nicht so schnell auf dem Speiseplan von uns landen. Dennoch, in Japan sollte man alles probieren, egal ob Qualle, Schnecke oder vergorene Bohnen (jap. „Nato“). Auf der Insel erregte ein kleiner Hafen unsere Aufmerksamkeit. Beeindruckend war hier die Vielzahl der Segelboote, vor allem, wenn man beachtet, dass die Japaner nur über ca. 2 Wochen Urlaub und nicht so viel Freizeit verfügen, um diesen doch sehr zeitintensiven Sport zu pflegen.
Nach dem Besuch dieser kleinen Insel, und vielen Kilometern zu Fuß machten wir uns auf den Rückweg in Richtung Tokio. Ein leckeres „Shabu shabu“ (eine Art japanisches Fondue) rundete den schönen Tag ab.
Dienstag ging es dann zum ersten Training. Von unserem Hotel brauchten wir eine knappe halbe Stunde zu Fuß ins Tendokan, und da wir uns vor dem um 06:30 Uhr beginnenden Training noch umziehen und aufwärmen mussten, klingelte unser Wecker um kurz vor 5. Schon bei diesem ersten Training fiel uns wieder auf, dass in Japan ganz anders trainiert wird: Zwar werden die Techniken an sich nicht schneller ausgeführt, aber die Japaner stehen nach einem Fall fast sofort wieder und starten ihren nächsten Angriff, und so ist die Trainingsintensität um ein Vielfaches höher als bei uns zu Hause. Obwohl die Matte schon gut gefüllt war – mit den bereits angereisten Gästen waren wir über 50 Leute auf der kleinen Fläche – waren wir nach 45 Minuten Training wie durchs Wasser gezogen.
Nach dem Frühtraining ging es dann erstmal zum Frühstück. Dieses gab es, wie schon bei unserem letzten Besuch, in einem Restaurant der Kette Sukiya. Die Bezeichnung Schnellrestaurant wird hier neu definiert: Wir saßen kaum, da brachte ein Kellner bereits den obligatorischen kalten grünen Tee und nach der Bestellung kamen unsere 4 Essen in weniger als einer Minute – und das bei mindestens 10 weiteren Gästen in dem kleinen Laden. Für 409 Yen (ca. 3 Euro) gab es eine Schale Reis, eine Miso-Suppe, einen kleinen Salat, ein Ei und ein Stück gebratenen Lachs – so würden wir auch gerne in Deutschland frühstücken!
Für diesen Tag hatten wir uns 2 Tagesziele vorgenommen. Zunächst besichteten wir den Tokioter Regierungssitz, das „Tokyo Metropolitan Government Building“, in Shinjuku (dt. „neue Unterkunft“). Das Besondere an diesem Gebäude ist, dass sich in den 45. Stockwerken der beiden Türme jeweils eine Aussichtsplattform befindet, von der aus man wunderbar über Tokio blicken kann. In der Regel ist die Wartezeit nicht lang, so war es auch diesmal. Wir mussten keine 15 Minuten warten, wurden kurz kontrolliert und durften dann kostenlos nach oben fahren. Zu unserem Glück trafen wir auf eine sehr nette ältere Japanerin, die uns in relativ gutem Englisch einmal im Kreis um die Fensterfront führte und zu jeder Himmelsrichtung viel erzählte.
Nachdem wir wieder auf dem Erdboden standen, kämpften wir uns abermals durch den gewaltigen Bahnhof von Shinjuku und fuhren mit der Yamanote-Line nach Harajuku. Den schönen Yoyogi-Park ließen wir liegen und schlenderten die berühmte Omotesandō (die Einkaufsstraße schlechthin) entlang. Hier befindet sich nicht nur alles, was Rang und Namen hat, sondern auch unser zweites Tagesziel, der Oriental-Bazaar – hier kann man vom Essstäbchen über traditionelle Kleidung bis zur Antiquität alles kaufen. Wir kauften für Robert eine Samue, eine traditionelle Arbeitskleidung. Diese ist sehr bequem und lässt sich auch bei uns im Haushalt gut anziehen. Nach dem Shopping blieb nicht mehr viel Zeit. Ein kurzer Zwischenstopp in Hotel, ein Tausch der Einkäufe gegen die Trainingstaschen, und schon ging es wieder zum Abendtraining ins Tendokan.
Den Mittwoch begannen wir erstmal mit einer großen Wäsche: mit vielen 100 Yen Stücken bewaffnet stürmten wir den Waschsalon einige Straßen weiter und dort wuschen und trockneten wir unsere Klamotten. Das alles ging sehr schnell, denn ein japanisches (= kaltes) Waschprogramm dauert nur 15 Minuten und die Gas betriebenen Trockner brauchen nicht wesentlich länger. Danach trennten wir uns, und während Björn einen ruhigen Tag ohne viel Trubel hatte, machte sich Robert zusammen mit Jörg auf den Weg zum Kaiserlichen Palast.
Mitten in Tokio umringt von Giganten aus Stahl und Beton, liegt die kaiserliche Residenz auf dem ehemaligen Gelände der Burg Edo. Der größte Teil des Palastes ist streng bewacht und der Öffentlichkeit unzugänglich. Aber an einigen Wochentagen darf man die östlichen Gärten besichtigen. Bei bestem Herbstwetter, mit strahlender Sonne und blauem Himmel, ging es durch den Garten mit seinen perfekt gepflegten Rasen und wunderschön angelegten Beeten. Auch nach diesem langen Sightseeing-Programm ging es natürlich ins Tendokan.
Nach einem sehr schönen, aber auch sehr anstrengenden Training war an unser Bett aber noch lange nicht zu denken. Zusammen mit den anderen Hamburgern gingen wir mit Marcus, einem Freund, der vor Jahren nach Japan ausgewandert ist, zum Essen. Nach all der Zeit in Tokio kennt er sich natürlich gut aus, und so endeten wir in einem gemütlichen kleinen Gyoza-Restaurant. Zu den pikant gefüllten Teigtaschen, wahlweise gekocht oder gebraten, gab es ein kühles Bier und nette Gespräche. Später saßen wir dann noch in der Lobby unseres Hotels (wobei eine deutsche Garage größer ist, als diese Hotel-Lobby) und planten unser Programm für den kommenden Tag.
Donnerstags findet im Dojo ein Frühtraining von 6:30 bis 7:15 Uhr statt. So muss man zwar extrem früh aufstehen, hat danach aber auch viel vom Tag. Dieses wollten wir zusammen mit unseren Freunden aus Serbien nutzen und gemeinsam den Tsukiji Market besuchen. Dieser Großmarkt im Stadtteil Chūō gilt als größter Fischmarkt der Welt, und auch wenn hier durchaus auch Gemüse, Früchte und allerlei Küchenutensilien gehandelt werden, so werden täglich über zweitausend Tonnen Fisch und Meeresfrüchte umgesetzt. Die Geschichte dieses Marktes reicht bis in 16. Jahrhundert zurück, im November 2016 soll sie aber enden: Der Fischmarkt soll in ein anderes Viertel umziehen und dann auch nicht mehr der Öffentlichkeit zugänglich sein. Daher nutzten wir noch einmal die Gelegenheit, diesen einzigartigen Ort zu besuchen, und schlenderten durch große Hallen mit leckersten Dingen aus dem Meer. Obwohl wir immer auf der Hut vor den rasenden Transportwagen waren, so entstanden doch hunderte von Bildern von dem, was sich besser in unseren Bäuchen als auf einem Speicherchip gemacht hätte. Rings um den Fischmarkt werden andere Zutaten und Küchenutensilien verkauft, wir deckten uns bei einem Töpferstand mit schönen Schalen ein.
Danach überließen wir Mikki die Führung, da er fließend japanisch spricht und sehr oft in Tokio ist, kennt er so manchen geheimen Tipp: Unser Weg endete in einem sehr guten Sushi-Laden, in dem uns all das serviert wurde, was wir gerade eben auf dem Fischmarkt gesehen hatten.
Am Abend bildete eine große Sushiparty den Auftakt für das dritte Tendo World Seminar. Mittlerweile waren alle angereist und so standen 100 Gäste aus der ganzen Welt vor Tischen, die sich unter Sake und Sushi bogen. Neben uns Deutschen (als größte ausländische Gruppe) waren Teilnehmer aus Dänemark, den Niederlanden, Belgien, Frankreich, Italien, Serbien, Slovenien, Singapur, Mexiko, Russland und einer aus den USA angereist. Die letzten Informationen zur Verteilung auf die Zimmer und die Busse, mit denen wir am kommenden Tag fahren würden, wurden verteilt. Wie alle japanischen Partys, so hatte auch dieses fröhliche „Get-together“ ein definiertes Ende, und nachdem alle beim Abräumen geholfen hatten, machten wir uns auf dem Weg zu unserem Hotel.
Da wir schon zum dritten Mal im Fukudaya waren, konnten wir unser großes Gepäck über das Seminarwochenende freundlicherweise im Hotel lassen.
In der Frühe des regnerischen Freitags machten wir uns mit unseren Trainingstaschen sowie Rucksack und Kamera im Gepäck auf den Weg zum Tendokan, um von dort gemeinsam in Richtung Izu aufzubrechen. Die vier Busse starteten pünktlich, und hier lernten wir auch unsere Zimmergenossen kennen. Das neue an diesem Seminar war es, dass alle Zimmer gemischt mit Japanern und Ausländern belegt waren.
Wie schon beim letzten Weltseminar, so sollte die Anreise nicht nur einfach zum Ort des Lehrgangs führen, sondern auch ein Sightseeing-Programm bieten. Unser erster Stopp galt dem Hakone-Schrein nahe der gleichnamigen Stadt im gebirgigen Vorland des Fuji-san. Obwohl wir die ganze Woche bestes Wetter gehabt hatten, wollte der Dauerregen an diesem Tag nicht enden, aber trotzdem (oder vielleicht gerade deswegen) bot die alte Tempelanlage eine beeindruckende Kulisse. In wetterfeste Kleidung gehüllt, ging es von dem Schrein noch zu dem berühmten roten Torii im Ashi-See. Dieses stellt als ein Element der japanischen Architektur den symbolischen, aber auch den realen Eingangstor eines Schreins dar.
Von Hakone aus ging es mit einem weiteren Zwischenstopp zum Mittagessen bis dicht vor unser Ziel. Da das Kannon Onsen (Ryokan!) nicht über große Straßen erreichbar ist, mussten wir kurz vor dem Ziel in kleine Minibusse umsteigen. Durch teilweise sehr schmale aber vor allem kurvenreiche Straßen ging es die letzten Kilometer zum Kannon Onsen hinauf, und auch hier zeigte sich die perfekte Organisation unserer japanischen Freunde: Vor dem Hoteleingang stand unser Gepäck, die Taschen nach Gebäuden und Zimmern sortiert. Gemeinsam mit unseren beiden Japanern bezogen wir das geräumige Appartement in dem, wie in einem Ryokan üblich, der Wohnraum auch als Schlafzimmer dient. Die Futons waren in Schränken verstaut und wurden abends durch das Personal ausgebreitet. Im Außenbereich des Zimmers stand uns sogar ein eigenes Onsen zur Verfügung – ein kleines Bad von den heißen Quellen der Umgebung gespeist.
Da Geothermie in Japan sehr häufig vor kommt, findet man diese Onsen über das ganze Land verteilt. Die Halbinsel Izu, auf der das Seminar statt fand, ist als Naherholungsgebiet nicht zuletzt wegen seiner heißen Quellen beliebt und eine der berühmtesten ist das Kannon Onsen.
Nach dem Ankommen hieß es erstmal Dojo putzen und Matten aufbauen. Mit knapp 90 Japanern und fast 100 Ausländern war dies sehr schnell erledigt. Die vielen Hände sorgten dafür, dass bis zum gemeinsamen Abendessen noch ein wenig Zeit für einen ersten Besuch im großen Onsen blieb.
Im Zimmer schnappten wir uns die vorhanden Yukata (japanisches Badegewand), unsere Handtücher und nicht zu vergessen: die kleinen Waschlappen, und dann ging es ins Bad. An dieser Stelle seien noch mal die wichtigsten Regeln einer Onsen-Benutzung erwähnt:
- Vor dem Baden wird sich gründlich mit Seife und Waschlappen im Sitzen gewaschen – das Bad betritt man nur sauber.
- Den benutzten Waschlappen legt man beim Baden auf den Beckenrand oder auf den Kopf, er soll nicht das Wasser verschmutzen.
So durch das erste Bad entspannt, begaben wir uns zu einem weiteren Höhepunkt des Tages, dem Abendessen mit traditionellen japanischen Gerichten. Alle zusammen saßen auf dem Boden an langen Tischen und es gab Shabu Shabu, Sashimi und unzählige Köstlichkeiten, bei denen schon die jeweilige Darreichungsform ein Kunstwerk darstellte.
Kaum waren wir mit dem Abendessen fertig, ging es schon zum nächsten kulinarischen Programmpunkt des Wochenendes: Jeder Teilnehmer war gebeten worden, eine kulinarische Spezialität aus seinem Heimatland mitzubringen, und so bogen sich die Tische in dem großen Gruppenraum bald vor Spezialitäten aus allen Teilen der Erde. Neben Wein aus Frankreich, Marzipan aus Lübeck, Insekten aus Mexiko, Vodka aus Russland und bayerischen Wurstspezialitäten gab es natürlich auch das ein oder andere aus Japan. Es wurde viel gelacht, geredet, und neben einigen Ansprachen gab es auch die obligatorischen russischen Volkslieder von den Gruppen aus Vladivostok. Mit einem Umweg über das Bad schafften wir es aber am Ende doch noch ins Bett; gerade noch rechtzeitig, denn das Frühtraining von Waka-Sensei sollte konditionell sehr anstrengend werden.
Nach dem Morgentraining gab es dann das traditionelle, japansiche Frühstück und während wir uns auf Miso-Suppe, grünen Tee, rohen Fisch, saure Pflaumen, scharfe Rettiche und heißen Reis freuten, konnte man doch einigen langen Gesichtern die Trauer über das Fehlen von Brötchen und Kaffee entnehmen.
Die nächsten anderthalb Tage vergingen wie im Fluge; Training, Baden, Essen, Training, Baden, Party – leider war das Programm so dicht, dass es keine Zeit für einen Ausflug nach Shimoda gab.
Mittlerweile war der Regen wieder einem wunderschönen Herbst gewichen und so freuten sich alle auf die große Grillparty am Sonntag Abend. Wie schon auf den letzten Weltseminaren, so wurde auch dieses Mal der Garten vor dem Hotel geschmückt, es wurden Lampen aufgehängt und Grills aufgestellt, und dann begann die große Party. Beim Schlendern über kleine Brücken oder einem netten Gespräch auf einer der vielen Plattformen wurden neue Freundschaften geschlossen oder alte intensiviert. Dabei gab es Leckeres vom Grill und wer unverständlicherweise einen Bogen um die leckeren Jakobsmuscheln machte, der fand bei einem reichhaltigen Angebot von Fleisch, Gemüse oder sogar Wurst sicher etwas Passendes.
Am Montag nach Morgentraining, Frühstück, Mattenabbau und einem letzten Bad ging es wieder zu den Bussen und dann Richtung Tokio. Unsere Fahrt sollte eigentlich am Meer entlang führen, aber da das Wetter mittlerweile so gut war, wurde der Weg nach dem Mittagessen geändert. Wir verließen leider die atemberaubende Küste und fuhren wieder ins Gebirge; unser Ziel war ein Blick auf den Fuji-san. Von einem Parkplatz aus stürmten alle zu der besten Fotoposition und obwohl der Fuß des Berges im Nebel lag, wurde mit allem geknipst, was gerade zur Verfügung stand. Danach, es fing schon an zu dämmern, ging es zurück nach Tokio, und kaum dass die Busse vor dem Tendokan entladen waren, hatte die Großstadt schon fast alle Seminarteilnehmer verschluckt.
Am Dienstag hatte uns das Tendokan wieder: Früh Aufstehen, früh Trainieren – so nutzt man den Tag optimal aus. Nach dem Training führte uns unser Tagesziel zum Meiji-Jingū, ein zwischen 1912 und 1920 errichteter Schrein, der nach dem Tode des Meiji-tennō gebaut wurde. Der Tennō (jap. „Himmlicher Herrscher“) ist der Kaiser von Japan, aber de jure nicht das Staatsoberhaupt; seine politische Rolle ist auf eine reine Symbolfunktion beschränkt. In religiöser Hinsicht gilt er als der oberste Prieser des Shintō.
Auf dem Weg zum Meiji-Jingū, der in einem immergrünen Wald liegt, passiert man wie an vielen Schreinen und Tempeln eine Aufreihung von gespendeten Sake-Fässern. Besonders an diesem Ort sind aber auch die Rotweinfässer, die als Spende jeder französischen Weinregion gegenüber den Sake-Fässern stehen. Der Schrein selbst wurde am 1. April 1945 durch Bombardements der US-Amerikaner zerstört und nach Kriegsende wieder aufgebaut. Über 100.000 Freiwillige halfen hierbei.Um das Gelände des Schreins wurden in der Zeit der Errichtung 120.000 Bäume (365 verschiedene Arten) gepflanzt, die aus allen Teilen Japans gespendet wurden.
Auch wenn uns dieser Ort fesselte, so wollten wir doch rechtzeitig zum Abendtraining sein und machten uns auf den Rückweg.
Der Mittwoch sollte der längste Tag unserer Reise werden. Nach einem kurzen Zwischenstopp auf dem Fischmarkt, wo wir noch ein paar Kleinigkeiten für Zuhause kauften, begaben wir uns in den Hamarikyū – für uns der schönste Park Tokios. Die durch einen Graben vom Festland getrennte Anlage wurde bereits um 1700 als Garten mit Seen, Brücken, künstlichen Inseln und Teehäusern geplant. Trotz vieler Zerstörungen durch Kriege und Erdbeben ist die Anlage ein wichtiges Beispiel der Kultur der Edo-Zeit, und so verbrachten wir hier einige Stunden. Bei einer Pause im Teehaus wurden wir gleich auf unsere guten japanischen Umgangsformen angesprochen – so überträgt man Aikido ins tägliche Leben.
Wir hatten den Park zu Fuß betreten, verlassen wollten wir ihn aber auf dem Wasserweg. Mit einer Fähre fuhren wir den Fluss Sumida hinauf in Richtung Asakusa und unterquerten 12 der wichtigsten Brücken über Tokios größten Fluss. Unterhalb des Hauptgebäudes der Asahi-Brauerei gingen wir wieder an Land und landeten in einer touristischen Nahkampfdiele. Asakusa im Stadtbezirk Taitō ist bekannt für den Sensō-ji, den ältesten und bedeutendsten buddhistischen Tempel Tokios und den in unmittelbarer Nähe liegenden Asakusa-Schrein. Um die Tempelanlagen herum liegt ein Viertel aus Restaurants, kleinen Läden, Kabuki- und Rakugo-Theatern. In einer kleinen Seitenstraße machten wir erstmal Pause und verzerrten unser erstes Okonomiyaki. Okonomi bedeutet „Geschmack“, „Belieben“ im Sinne von „was du willst“; yaki bedeutet „gebraten“ oder „gegrillt“. Traditionell wird es am Tisch auf einer heißen Eisenplatte (jap. „Teppan“) gebraten. Die Grundzutaten sind: Ei, Kohl, Dashi, Fleisch und Gemüse. Alles wird gemischt und ähnlich einem Omlett gebraten.
Nach dem Essen merkten wir, dass wir das Training wohl nicht schaffen würden. Wir schickten noch eine Kurznachricht an Eckhardt, wurden aber dennoch vermisst, wie wir am nächsten Tag erfahren sollten. So ließen wir uns Zeit und schlenderten bis in die Dunkelheit durch die Gassen von Asakusa.
Am Donnerstag machten wir einen Wellness-Tag: Zwischen dem Früh- und Abendtraining besuchten wir, zusammen mit den Serben, ein Onsen in Tokio. Hier konnten wir nicht nur ausgiebig baden und die Seele baumeln lassen, es gab auch gutes Essen.
Freitag, der 23. Oktober war unser letzter ganzer Tag in Tokio. Auf der einen Seite waren wir ganz froh, dass die anstrengende Zeit vorbei war, auf der anderen Seite hieß das auch Abschied von Japan und von vielen alten und neuen Freunden. Bevor wir zum letzten Training in das Tendokan aufbrachen, fuhren wir noch einmal ganz allein nach Asakusa, ließen aber alle Sehenswürdigkeiten links liegen, und besuchten die Kitchen-Town. Auf mehreren Kilometern reihten sich an einer Straße Küchengeschäft an Küchengeschäft, und unsere Taschen füllten sich mit so manchem Mitbringsel.
Nach dem letzten Training, nach vielen Verabschiedungen und einigen Photos ließen wir bei einer leckeren Nudelsuppe bei Mogi die zwei Wochen noch mal Revue passieren: Vor allem haben wir uns darüber gefreut, dass unsere Gesundheit dieses Mal mitgespielt hat und dass auch Jörg, der ja das erste Mal in Japan war, trotz seines akuten Bandscheibenvorfalls jedes Training nicht nur mitmachen sondern auch genießen konnte!
Mit vielen neuen Erfahrungen machten wir uns dann am 24. Oktober auf den Weg zum Flughafen Narita und als wir über einer Treppe „WE HOPE TO SEE YOU AGAIN“ lasen, war uns eines klar: Wir warten nicht wieder drei Jahre bis zum nächsten World Seminar, sondern kommen eher wieder.
„Sayonara Nippon“ und „Domo arigato gozaimashita“ an alle Helfer und das ganze Tendokan für eine tolle Zeit!
Björn Ole Pfannkuche / Robert Patzwald